Der EWCM in Warschau - ein musikalischer Austausch
Ein Bericht von Sophie Jarosch von Schweder
Seit 2003 treffen sich junge Musiker:innen aus Polen und Deutschland einmal jährlich beim European Workshop for Contemporary Music (EWCM), einer langjährigen Partnerschaft zwischen dem Podium Gegenwart des Deutschen Musikrats und dem Festival Warschauer Herbst. Unter der Leitung von Prof. Rüdiger Bohn studieren sie neue und neueste Kompositionen zeitgenössischer Musik ein und bringen sie zur Aufführung. Sophie Jarosch von Schweder war im September 2025 als Hornistin beim EWCM in Warschau dabei. Sie ist 21 Jahre alt und studiert Horn in der künstlerischen Ausbildung an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Sie begann mit 14 Jahre ihr Instrument zu spielen, war Mitglied im Niedersächsischen Landesjugendorchester und Bundespreisträgerin beim Wettbewerb „Jugend Musiziert“. Der European Workshop for Contemporary Music 2025 war ihre erste Berührung mit zeitgenössischer Musik.
Die Teilnahme am European Workshop for Contemporary Music war für mich eine ganz besondere Erfahrung. Ich hatte bis dahin noch keine Berührungspunkte mit neuer Musik auf professionellem Niveau gehabt und war auch noch nie in Polen gewesen, ich wusste also nicht ganz, was ich von der Teilnahme an dieser internationalen Ensemblewerkstatt überhaupt erwarten sollte. Alle diese nichtvorhandenen Erwartungen wurden aber vollends übertroffen. Es waren wunderbare zehn Tage in Warschau, in denen ich nicht nur viel über zeitgenössische Musik lernen, sondern auch tolle neue Leute kennenlernen durfte.
Das Programm bestand aus insgesamt fünf Werken zeitgenössischer Komponist:innen, ich durfte in der Uraufführung „Time must stop” von Maciej Kabza und „Chiffre II - Silence to be beaten” von Wolfgang Rihm mitwirken. Für mich als klassisch ausgebildete Musikerin waren die Stücke zunächst eine Herausforderung, da der Fokus der zeitgenössischen Musik auf anderen Aspekten liegt als im klassisch-romantischen Repertoire. In die komplizierten Rhythmen und die experimentellen Spieltechniken, sowie die Abwesenheit von offensichtlichen harmonischen Zusammenhängen musste ich mich etwas einfinden. Dabei haben mir die Satzproben zu Beginn des Kurses sehr geholfen: Unser Blechbläser-Dozent Markus Schwind ist mit uns die Stücke durchgegangen, hat alle unsere Fragen zu etwaigen Problemen mit schwierigen Passagen beantwortet und uns sehr gut auf die Tutti-Proben vorbereitet. In der ganzen Besetzung war es dann auch viel einfacher alles zusammenzusetzen und unter der Leitung von Rüdiger Bohn den Charakter der Stücke herauszuarbeiten.
© Grzesiek Mart

Während den Proben war ich insbesondere von „Chiffre II - Silence to be beaten” von Wolfgang Rihm aufgrund seiner interessanten Tonsprache sehr angetan, doch auch die anderen Stücke des Programms waren sehr spannende Werke: In „Time must stop” von Maciej Kabza mussten wir nicht nur unsere Instrumente spielen, sondern auch geräuschvoll ein- und ausatmen und einen Protestgesang wie auf einer Demonstration anstimmen. „Junkyard Piece I” von Ricardo Eizirik erforderte von den Musiker:innen einiges an Multitasking, da alle Beteiligten zusätzlich zu ihren Instrumenten noch elektronische Fußpedale bedienen mussten, die verschiedene Soundeffects erzeugten. In dem Stück „MOM” von Golnaz Shariatzadeh wurde zur Musik ein animiertes Video eingespielt und in „Amok Koma” von Fausto Romitelli kamen neben „Electronics”, also digital generierten Sounds, auch noch leere Weinflaschen zur Tonproduktion zum Einsatz.
Unser Beitrag zum Festival Warschauer Herbst war allerdings nur einer von vielen interessanten Programmpunkten. Wir durften als Teilnehmende viele der Veranstaltungen besuchen und so die verschiedenen Strömungen und Ideen der zeitgenössischen Musik intensiver kennenlernen. Ein so vielseitiges Programm hatte ich bei weitem nicht erwartet und alle Konzerte, die ich besucht habe, waren eine spannende neue Erfahrung. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir ein Konzert des isländischen Ensembles „Nordic Affect”, in dem die Musikerinnen zeitgenössische Musik auf historischen Instrumenten in Kombination mit elektronischen Sound-Einspielungen darboten.
© Grzesiek Mart

Horizonterweiternd war die Teilnahme am EWCM jedoch nicht nur auf musikalischer, sondern vor allem auf menschlicher Ebene. Der Austausch mit den anderen Teilnehmer:innen des Workshops war für mich einer der interessantesten Aspekte des Projektes. Mit den polnischen Musiker:innen kam man über die Unterschiede der polnischen und deutschen Kultur- und Musikszene ins Gespräch, diskutierte über politische Themen und tauschte sich über Erfahrungen mit dem jeweils anderen Land aus. Alle Teilnehmenden des Kurses waren im Umgang miteinander unglaublich herzlich und wir sind während des Kurses nicht nur als musikalisches Ensemble, sondern auch als Menschen eng zusammengewachsen. Da einige andere Teilnehmende und ich nicht in allen Stücken des Programms besetzt waren, hatten wir außerhalb der Proben zudem die Gelegenheit gemeinsam die Stadt zu erkunden und die vielen Sehenswürdigkeiten zu begutachten. Abends saß man für gewöhnlich noch lange zusammen, und so verbrachten wir wunderbare Tage in Warschau.
Ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte an diesem besonderen Kurs teilzunehmen. Gerade in Zeiten politischer Radikalisierung, die wir in Deutschland und Polen gleichermaßen erleben, finde ich es unglaublich wichtig, dass es Projekte wie den European Workshop for Contemporary Music gibt. Jungen Menschen verschiedenster Nationen wird die Möglichkeit gegeben über Ländergrenzen hinweg zusammenzuwachsen, mit Hilfe von Musik Brücken zu bauen und den immensen Wert der europäischen Gemeinschaft schätzen zu lernen. Kultur in allen ihren Formen zu erhalten ist in Zeiten wie diesen wichtiger denn je und ich bin froh, dass mir durch meine Teilnahme am EWCM die Möglichkeit dazu gegeben wurde einen kleinen Teil dazu beizutragen.
© Grzesiek Mart

