Musikalische Innovation heute

Ensembles zeitgenössischer Musik im Fokus - von Bastian Zimmermann

Seit nun 70 Jahren hat der Deutsche Musikrat, der größte nationale Dachverband, die Musikkultur in Deutschland geprägt. Eine der wichtigen Neuerungen der letzten Jahre wurde die Förderungen von jungen Ensembles, wenn man so will, dem musikalisch-künstlerischem Mittelstand. Was treibt diese jungen Musiker:innen an, sich in Ensembles zusammenzufinden? Was hat das für kulturpolitische Bedeutungen? Am 27. und 28. September dieses Jahres trafen sich zahlreiche Vertreter:innen aus Politik, Musikwirtschaft und eben auch aus den Ensembles in der Villa Elisabeth in Berlin, um der Frage von Diversität in Musik insbesondere in der Ensemblelandschaft nachzugehen. Und eben: Ensembles sind in der zeitgenössischen Kunstmusik der prädestinierte Ort für musikalische Innovationen. 

Ich möchte meinen Impuls aus meiner Biografie als Schreiberling, Dramaturg und Kurator heraus starten, um dann auf einen allgemeineren Punkt zu kommen. Vor nun fast 15 Jahren habe ich meine Karriere als Freelancer in Frankfurt am Main gestartet und hab viel über Musik für verschiedenste Zeitschriften geschrieben, aber auch dramaturgisch im musikalisch-performativen Kontexten gearbeitet. Und ich habe mich damals immer wieder gefragt, wo sind die Orte, an denen etwas künstlerisch stattfindet, etwas Neues entwickelt wird. Es gab für mich als jungen Studierenden entweder etablierte, auch große Institutionen, die wissen, wie sie funktionieren und das Experiment, die Innovation als Marke raushängen lassen…und dann eben nicht finanzierte subkulturelle oder studentische Projekte, die spannend und innovativ sein konnten, aber eben für einen Freelancer nicht realistisch zum Überleben waren. 

Berlin war auch damals der Ort in Deutschland, wo es mehr gab. Eben Ensembles im einigermaßen gut finanzierten Mittelstand, die individuelle Projekte recht flexibel entwickeln können. In den anderen Städten in Deutschland, damals, fast nichts. 
Heute, 15 Jahre später, ist es anders. Es gibt eine wirklich spannende Ensemblelandschaft quer durch die Städte Deutschlands und mit Ensembles, die anders als die großen funktionieren.  

Was sind denn Ensembles? Es sind Gruppen von Menschen, die sich zusammen organisieren, die sich zusammen vielleicht auch anders organisieren, die sich aus sozialen Zusammenhängen heraus zusammenfinden. Und darin liegt für die Frage von Diversität in der zeitgenössischen Musiklandschaft das große Potential. Im Gegensatz zu etablierten Strukturen finden sie als Gruppe ihre je spezifischen Ästhetiken und Organisationsformen. Einfach gesagt: Sie setzen um, was sie woanders vielleicht auch vermissen. Ich möchte weiter behaupten: Die junge zeitgenössische Ensemblelandschaft ist so etwas wie ein Hub für eine diverse Kunstproduktion – auf der Ebene von Darstellenden, Dargestelltem und Produktionsweisen. Auf der Tagung sagte jemand: Ein Trio ist drei Instrumente, ist aber auch drei Menschen. 
Dass es diese Vielfalt an Ensembles heute gibt, hat auch den einfachen Grund, dass es seit einigen Jahren auch Gelder für sie gibt. Wichtig ist jedoch, dass die durch diese Gelder etablierten Arbeitsstrukturen auch eine Kontinuität erlauben. 
Ensembles mit neuen Ästhetiken und Produktionsweisen fordern aber auch die Förderinstitutionen heraus. Daraus kann man was lernen. Denn: Wer fällt wie raus aus den Förderschemata? Welche Netzwerke und Infrastrukturen müssen schon seitens der Künstler*innen etabliert sein, um von den großen Förderern anerkannt zu werden?

Ich möchte ein Beispiel bringen. Das Solistenensemble Kaleidoskop in Berlin sind die Vorreiter im Bereich von Musikensembles, das sich inter- und transdisziplinären performativen Arbeiten seit ihren Anfängen verschrieben hat. Kurz gesagt: Sie haben nie ein konventionelles Konzert gespielt, oder vielleicht eins einmal mit Augenzwinkern. D.h. auch: Sie entwickeln Projekte anders: Es wird eher wie im Theater wochenlang geprobt, Körper- und choreographische Arbeit geleistet und sich eben der klassischen Aufführungslogik von Auftrag, Partitur, Aufführung mit zwei Tagen Probe entzogen. Für die Mitglieder des Solistenensemble Kaleidoskop gibt es keine Aufführungskonvention. Wie der Name schon sagt, ist es auch ein Ensemble von Solist:innen, die ihre je eigenen Ideen haben, die sie beizeiten in selbstangeleiteten Projekten auch umsetzen. Oder sie laden Gastregisseur:innen, -choreograph:innen, -komponistin:innen usw. ein mit ihnen zusammen deren Ideen zu entwickeln und umzusetzen. 

Die Existenz des Ensembles ist in den fast 15 Jahren immer wieder in Bewegung, manchmal bedroht, und sicher wird sie immer wieder von den verschiedensten Seiten der verschiedenen Betriebe, insbesondere der Musik, in Frage gestellt. Ich kenne auch diese Musik-Personen in Kulturämtern, die sagen, wenn die Geige sich von der Partitur erhebt und einmal im Kreis dreht, dann ist das nicht mehr Musik.
Musik kann aber so vieles sein. Musik ist zuallererst ein kommunikatives Medium, mit dem ich mit anderen Menschen interagiere. Mein Körper produziert durch Bewegung Klänge, selbst Tiere tun das. Ich kann aber auch das Laptop in die Hand nehmen. Wie auch immer ich und die anderen dann zu einem künstlerischen Resultat kommen, das ist offen. Wie es sich als Show oder Situation manifestiert, auch! Und am Ende entscheidet ein riesiges Netzwerk an Akteur:innen darüber, ob eine Ästhetik angesagt ist, sich weiterentwickelt… oder eben nicht.

Das ist eben das Potential dieser jungen Ensembles, sie provozieren Fragen, gute Fragen: Also was wäre eine Garageband der Neuen Musik? Also eine Gruppe von Musiker:innen, die sich ohne Förderung in einer Garage treffen, um miteinander abzuhängen und Dinge zu entwickeln. Ist das bei den aktuellen Konventionen überhaupt denkbar?
Was letztlich zu der Frage führt, mit der ich abschließen möchte: Was für Karrieren sind im Bereich der zeitgenössischen Musik möglich? Muss denn jede Musiker:in und Komponist:in, die irgendwie öffentlich gefördert wird mit ihren Projekten, studiert haben? Und wenn sie das doch gemacht hat: Was ist das Repertoire an Musikhochschulen das Musiker:innen und Komponist:innen gelehrt bekommen? Auch da: Ein Wandel ist langsam in Sicht. Diese Momente des Wandels müssen jedoch irgendwo erprobt werden. Und die Ensembles sind ebendieser Spiel- und Probierraum für eine diversere Kunst- und Musizierpraxis.


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Ich bin ...

Musiker*innen können in den Ensembles des Deutschen Musikrates mitsingen oder mitspielen, dem Bundesjugendorchester, dem Bundesjazzorchester und dem Bundesjugendchor, an Wettbewerben teilnehmen. Mit vier weiteren Projekten im Bereich Förderung unterstützt der Deutsche Musikrat junge hochtalentierte Musiker*innen, Dirigent*innen, Komponist*innen und Interpret*innen zeitgenössischer Musik sowie Popmusiker*innen auf ihrem Weg in ein professionelles Musikerleben und schlägt eine Brücke zwischen Musiker*innen, Veranstalter*innen und Publikum. Zudem bietet das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) eine zentrale Informationsstelle zu allen Themen des Musiklebens.

 

 

Der Deutsche Musikrat ist Träger der Wettbewerbe für Kinder und Jugendliche: Jugend musiziert und Jugend jazzt, der Wettbewerbe für professionelle Musiker*innen: dem Deutschen Musikwettbewerb, dem German Conducting Award (ehem. Deutscher Dirigentenpries) sowie dem Deutschen Chordirigent*innenpreis sowie den Wettbewerben für Amateurmusiker*innen: dem Deutschen Chorwettbewerb und dem Deutschen Orchesterwettbewerb.

Der Deutsche Musikrat e. V. ist Sprachrohr und Impulsgeber musikpolitischer Themen für seine Mitglieder.

Die zahlreichen Vorteile einer Mitgliedschaft im Deutschen Musikrat e.V. für Sie zusammengestellt. 

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Zur Förderung der jungen Musiker*innen und Musiker in den Ensembles des Deutschen Musikrates gehört auch das Konzertieren auf der Bühne vor Publikum. Anfragen für Engagaments nehmen die Projektletiter*innen gern entgegen. Durch die Konzertförderung Deutscher Musikwettbewerb werden im Jahr ca. 200 Konzerte an Konzertveranstalter und Konzertreihen vermittelt.

Musikpädagog*innen finden Konzepte und Arbeitsmaterialien für den Musikunterricht bei den Vermittlungsprojekten des Podium Gegenwart. Aktuelle musikpolitische Entwicklungen und Studien finden sich im Themenbereich „Musikalische Bildung“ sowie Fachbeiträge dazu beim Deutschen Musikinformationszentrum.

Mit dem Deutschen Musikinformationszentrum bietet der Deutsche Musikrat eine zentrale Informationsstelle zu allen Themen des Musiklebens.